Verena Issel – Lob des Lernens

Verena Issel ( *1982, lebt und arbeitet in Hamburg und Berlin)
Während eines Arbeitsstipendiums bei ZARYA CENTER FOR CONTEMPORARY ART in Vladivostok, Russland, stellte Verena Issel fest, dass derzeit extrem viele der bislang die Gebäude dort zierenden Wandbilder, -Reliefs und Mosaiken aus der Soviet-Zeit verschwinden. Als Propaganda-Mittel einer überholten Ideologie werden sie mit Beton überdeckt, von den Wänden abgeschlagen oder aber durch neue Bilder, häufig aus dem kommerziellen Werbekontext, ersetzt. Die Wandbilder aus der Sovietzeit sind für nicht wenige Menschen in Russland Symbole für eine schreckliche Zeit, sie wecken teilweise Erinnerungen an grausame Erfahrungen wie Straflager, Unterdrückungen und Entbehrungen.
In diesem Kontext fällt es natürlich schwer, die Wandbilder losgelöst von Propaganda und Politik als Kunstwerke zu betrachten.
Dennoch stellt sich hier eine Reihe interessanter Fragen: ist Schönheit  generell losgelöst von politischen Interessen? Darf man „sowas“ gut finden? Was ist heute mit der Autonomie der Kunst? War der abstrakte Expressionismus nicht auch komplett als Propaganda-Instrument finanziert von den USA – und was hält man jetzt aktuell davon? Ist Kunst lediglich eine Mode und kann je nach Zeitgeist einfach vergessen und vernichtet werden?
Für ihre Ausstellung „LOB DES LERNENS“ in der Galerie Oehl-Früh, deren Titel dem gleichnamigen Arbeitergedicht Bertolt Brechts entlehnt ist, formte Verena Issel Gipsteile von Soviet-Wandreliefs in Vladivostok ab und kombinierte diese mit mosaikhaften Versatzstücken, gefertigt aus kuschligem chinesischen Schaumgummi, einem sehr zeitgenössischen und kurzlebigen Material.
Ein Soviet-Wandbild wird abstrakt nachempfunden und in einen Dioramen-ähnlichen Glaskasten eingefügt, gleich einem ausgestorbenen Mammut aus Plastik ist es nun als Zeuge einer vergangenen Zeit hinter Glas zu betrachten. Von vorne mauert sich die Installation jedoch schon wieder von selber zu… Neue Zeiten brechen an, neue Bilder braucht der Mensch?   
Die Künstlerin muss derzeit stark mit sich selbst kämpfen, ob sie ein gut dotiertes Stipendium von einer als sehr neoliberal konnotierten privaten Stiftung ablehnt oder annimmt. Wo fängt Freiheit an und wo hört sie auf?