Marc Einsiedel | Schwund und Nähe

Ausstellung: bis 02. September
Öffnungszeiten: Sa-So 15-19h
Finissage: Sonntag, 03. September 15-19h

Marc Einsiedel (1983) erforscht, analysiert und bearbeitet verschiedene Aspekte des öffentlichen Raums. Durch Hinzufügen, Zweckentfremden und Recyceln zeigt er in Vergessenheit geratene Missstände, dokumentiert Absurditäten und Nebensächliches. Fundstücke und willkürliche Hinterlassenschaften aus dem öffentlichen Raum werden in Form von Materialstudien, Fotografien, sozialer oder performativer Praktik in andere Kontexte gesetzt.

Im Mittelpunkt stehen oftmals soziale Randphänomene, die sich hinsichtlich ihrer Bedürfnisse, Interessen oder Vorlieben von der Mehrheit der Gesellschaft unterscheiden und deswegen häufig isoliert existieren und Diskriminierung erfahren. Marc Einsiedel verweist auf die Wechselwirkungen zwischen architektonischen und politisch-ideologischen Strukturen in einer urbanen Protestkultur.

So beschäftigt sich auch die Ausstellung “Schwund und Nähe” intensiv mit der Existenz der unmittelbaren Umgebung der Galerie Oel-Früh und dem baulichen als auch sozialen Wandel in Rothenburgsort. Zentrales Element der Ausstellung ist ein sieben Meter langer Riss im Boden der Galerie – eine Auswirkung von Spannung oder Belastung im Material. Marc Einsiedel nimmt sich diesem konkreten Raumphänomen an, indem er in unmittelbarer Umgebung gefundenes Aluminiumgestänge zersägt, das Metall in einer Schmiedeesse bis zum Schmelzen erhitzt und anschließend den Riss mit der flüssigen Masse kittet. Das schimmernde Aluminium verleiht der Fuge Glanz und Grazie und natürlich Aufmerksamkeit. Eine bleibende Installation, welche die vermeintliche Stabilität wiederherstellt. Der Entstehungsprozess ist durch ein Video dokumentiert und läuft begleitend zur Ausstellung. Daneben werden auch eine virtuelle „Flugsimulation“ über und durch den Riss und ein Abdruck zu sehen sein.

Zu Beginn eines Werkes begibt sich der in Hamburg lebende Künstler auf eine investigative Recherchereise. Was ist in der Umgebung vorzufinden? Welche Materialen werden genutzt? Welche strukturellen und baulichen Strukturen zeichnen sich ab? Marc Einsiedel greift diese Impulse auf, dokumentiert und experimentiert. Dabei ist die Aneignung handwerklicher Fähigkeiten ebenso Teil des Prozesses wie die Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Materialien und deren Ästhetik. So hantierte er für die Ausstellung etwa mit Schmelzungs- und Abkühlungsabläufen aus Metall. Die Beschaffenheit und physikalischen Gegebenheiten der Materialien stehen konträr zur aktiven Formgebung des künstlerischen Prozesses.

Die Objekte in der Ausstellung bestehen aus zurückgelassenen Konsum- und Alltagsfragmenten der Bürgerinnen aus der Nachbarschaft und Fundstücken von Brachflächen oder aus dem Industriegebiet. Die Skelette zweier Bäume, abgebrannt, verrußt, zwangsläufig entastet stehen wie zwei traglose Säulen im Raum. Ein spitzer Stein, über den sich eine zersplitterte Glasscheibe schmiegt, ein LKW-Seitenspiegel mit zersplitterter Spiegelfläche, angebracht über dünne Glashalme in der Wand. Ein filigranes Glaspendel aus einer gewöhnlichen Gardinenstange oder ein ölverschmiertes Bettlaken, das sich schlaff über die Raumecke ausbreitet. Die Ausstellung erzählt von Umbruch, aber auch von Beständigkeit, von Schwund und Nähe. Ort und Arbeit fügen sich ineinander. Es ist ein Fundus an Einzelteilen, teils belassen, teils neu formiert, materielle und formale Vielschichtigkeit. Die Arbeiten sind ein subtiler Hinweis auf sich überlagernde Prozesse im Stadtteil – Altes oder Kaputtes weicht Neuem, wird verdrängt, verdichtet sich.

Wer auf die Details achtet, wird sehen, dass alles in sich formal geschlossen ist. Kein Baumarktnagel ist zu finden, jede Aufhängung ist selbst angefertigt. Die Raumfluchten sind bedacht gewählt, selbst die Bar mit ihren Besuchenden ist aus der Ferne als Bildausschnitt zu lesen.

Marc Einsiedel weist in seinen Arbeiten auf architektonische Macken hin, auf strukturelle Fehler, auf die vielseitigen Interessen und Ansprüche einer Gesellschaft und den damit verbundenen Fragen zu Besitz und Bedürfnis. „Schwund und Nähe“ ist „streng“ kuratiert, setzt dezent Impulse, verlangt die Aufmerksamkeit der Betrachtenden und mündet (im besten Fall) im Erkennen der Spannungen und der daraus resultierenden Entspannung.

Marc Einsiedel schloss 2006 sein Studium an der University of East London bei Martin Barrett mit dem Master of Fine Art ab.

Text: Anna-Carla Brokof

Fotos © Edward Greiner