Anna Grath (*1983 lebt und arbeitet in Hamburg) initiiert in ihrer Arbeit oft fragile Balanceakte. Sie versetzt Objekte und Stoffe in gegenseitige Beziehungen aus Kraft, Spannung und physischer Eigendynamik und lässt sie so neue Formen annehmen, die nur als Komposit, als Symbiose denkbar sind.
Anna Grath scheint die Dinge zu befragen, dem Zeug in skulpturalen Versuchspraktiken – Binden, Dehnen, Biegen, Spannen, Knüpfen, Stopfen, Zerren – zu seinem Ausdruck zu verhelfen, zu einer materiellen und formalen Übersetzung innerer Spannungen und unbekannter Geschichten. Sie entzieht den Dingen ihre ursprüngliche Funktion und ordnet ihnen neue Pflichten zu. Sie stellt die Dinge in den Dienst einer neuen Gestalt. Es herrscht bekanntlich kein Handlungsdruck in der Kunst – in dieser dekadenten Freiheit wachsen und prahlen Graths Arbeiten; ihre Defunktionalisierung ist ein postmodernes Formenspiel. Das Material wird aus der Verantwortung genommen. Es muss seine schieren Moleküle nicht länger in der Identität Gartenschlauch, Notenständer und Luftpolsterfolie halten, stattdessen wird es zu Farbe, Textur und Linie erklärt.
Die Objekte dokumentieren einen Abfall: Den spontanen Spannungsabfall im Moment ihrer Defunktionalisierung. Sie verlassen den einen Kreislauf und treten ein in einen neuen. In diesem Sinne sind Graths Ensembles als Wertstoffsammlungen aufgelöster Kulturproduktion zu verstehen. Aber es liegt keine Traurigkeit in dieser Auflösung, kein Zivilisations-Memento Mori sondern eine fröhliche Aufbruchsstimmung. Grath hilft dem Material, seiner Berufung als spezifischer Gegenstand entledigt, etwas Neues auszuprobieren: im engen Kreis der anderen, durch sie entklammerten Sinneinheiten. So sind ihre Arbeiten und Ensembles auch immer Gruppenbilder aus dem Sanatorium der Dinge.
Anna Grath studierte bis 2014 an der HfbK Hamburg und schloss ihr Studium bei Andreas Slominski, Michael Diers und Thomas Pletzinger mit dem Diplom ab. Ihre Werke sind zur Zeit in der Kunsthalle Hamburg, Kunstverein Schwerin sowie in der Villa Schöningen in Potsdam zu besichtigen.
Titelbild, Ausschnitt aus: Nina Lucia Groß: Rhythmische Gymnastik oder: Das Sanatorium der Dinge (Anna Grath, Cotton Ball Diet, 2022) (Foto: Robert Schlossnickel)
Ausstellung bis 23. April 2022
Anna Grath (*1983 lebt und arbeitet in Hamburg) initiiert in ihrer Arbeit oft fragile Balanceakte. Sie versetzt Objekte und Stoffe in gegenseitige Beziehungen aus Kraft, Spannung und physischer Eigendynamik und lässt sie so neue Formen annehmen, die nur als Komposit, als Symbiose denkbar sind.
Anna Grath scheint die Dinge zu befragen, dem Zeug in skulpturalen Versuchspraktiken – Binden, Dehnen, Biegen, Spannen, Knüpfen, Stopfen, Zerren – zu seinem Ausdruck zu verhelfen, zu einer materiellen und formalen Übersetzung innerer Spannungen und unbekannter Geschichten. Sie entzieht den Dingen ihre ursprüngliche Funktion und ordnet ihnen neue Pflichten zu. Sie stellt die Dinge in den Dienst einer neuen Gestalt. Es herrscht bekanntlich kein Handlungsdruck in der Kunst – in dieser dekadenten Freiheit wachsen und prahlen Graths Arbeiten; ihre Defunktionalisierung ist ein postmodernes Formenspiel. Das Material wird aus der Verantwortung genommen. Es muss seine schieren Moleküle nicht länger in der Identität Gartenschlauch, Notenständer und Luftpolsterfolie halten, stattdessen wird es zu Farbe, Textur und Linie erklärt.
Die Objekte dokumentieren einen Abfall: Den spontanen Spannungsabfall im Moment ihrer Defunktionalisierung. Sie verlassen den einen Kreislauf und treten ein in einen neuen. In diesem Sinne sind Graths Ensembles als Wertstoffsammlungen aufgelöster Kulturproduktion zu verstehen. Aber es liegt keine Traurigkeit in dieser Auflösung, kein Zivilisations-Memento Mori sondern eine fröhliche Aufbruchsstimmung. Grath hilft dem Material, seiner Berufung als spezifischer Gegenstand entledigt, etwas Neues auszuprobieren: im engen Kreis der anderen, durch sie entklammerten Sinneinheiten. So sind ihre Arbeiten und Ensembles auch immer Gruppenbilder aus dem Sanatorium der Dinge.
Anna Grath studierte bis 2014 an der HfbK Hamburg und schloss ihr Studium bei Andreas Slominski, Michael Diers und Thomas Pletzinger mit dem Diplom ab. Ihre Werke sind zur Zeit in der Kunsthalle Hamburg, Kunstverein Schwerin sowie in der Villa Schöningen in Potsdam zu besichtigen.
Titelbild, Ausschnitt aus: Nina Lucia Groß: Rhythmische Gymnastik oder: Das Sanatorium der Dinge
(Anna Grath, Cotton Ball Diet, 2022) (Foto: Robert Schlossnickel)