Winnie Seifert & Hannes Uhlenhaut | Closer

Mit Closer führen wir unser ursprünglich für Anfang 2020 geplantes Programm nun mit etwas Verspätung fort.

Winnie Seifert (*1987 lebt und arbeitet in Dresden) |
Hannes Uhlenhaut (*1985 lebt und arbeitet in Leipzig)

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

Fotos © Antje Sauer

Closer

Ist der Titel Closer als revoltierender Aufruf zweier – der Pandemie überdrüssiger – Individuen zu verstehen? Als eine mit Sehnsucht angereicherte Offerte des Zusammen- und Näherkommens?
Letztens, auf einer Ausstellungseröffnung. Es war die erste Ausstellung, die ich seit meiner Quarantäne besuchen durfte. Die erste für wahrscheinlich alle Anwesenden, für die das gesellschaftliche Leben und der kulturelle Input durch die Pandemie zuvor abrupt geendet hatte. Wichtig erschien an diesem Abend die Euphorie des sozialen Miteinanders und die intellektuelle Energie im Austausch wiederaufleben zu lassen. Wir kamen wieder zusammen und verdrängten eine aus den Fugen geratene Welt – wir wurden Closer.
Auf künstlerischer Ebene beschreibt Closer die Auswirkungen einer kollaborativen und parallel verlaufenden Arbeitspraxis zweier Künstler_innen. Die Reflexionen von Winnie Seifert und Hannes Uhlenhaut spornen den Betrachter an, näher heranzutreten. Die perfide Ambivalenz einer solchen Aufforderung ist noch frisch und wäre bis Februar desselben Jahres keine gewesen. Natürlich muss ein Kunstwerk von Nahem betrachtet werden. So nah, dass der findige Blick die verbotene Berührung ertasten; so nah, dass sein olfaktorischer Charakter Material vermittelten kann; so nah, dass das Ganze im Detail verschwindet.
Führt Closer unsere mühsam antrainierte, abstandwahrende Sozialkompetenz ad absurdum?
Das Bedürfnis nach sozialem und physischem Austausch ist ein universelles. Fehlt es, wirkt sich dies negativ auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit aus und der Ausstellungstitel unterstreicht darüber hinaus, dass sozialer und physischer Austausch eben auch in der Produktion wie Rezeption von Bildender Kunst systemimmanent ist.
Die künstlerische Arbeit von Hannes Uhlenhaut destilliert die Essenzen und Strömungen historischer und postmoderner Kulturgeschichte. Er setzt sie anachronistisch-eklektisch zusammen und verleiht ihr durch das verwendete Material einen klassischen, überzeitlichen Habitus. Deutlich lassen sich Einflüsse popkultureller Phänomene und des Comics, genauso wie Stilmittel der klassischen westlichen Kunstgeschichte und Historie beobachten. In seinen neuesten Arbeiten verbindet er darüber hinaus das amorphe, vielschichtige Potenzial von Gips, Porzellan und Papier mit Bildgesten der chinesischen Kunstgeschichte. Dieser gestalterisch-materielle Wandel ist Resultat einer 3-monatigen Artist Residency in Peking und der Provinz Jingdezhen. Dass ein Bild oder Objekt nicht nur einer einzigen Betrachtungsperspektive, sondern einer Vielzahl optischer und haptischer Empfindungen unterliegt, spiegelt sich als rotspulende Erkenntnis in Uhlenhauts künstlerischer Praxis. Sie ist als offenes, mehrdeutiges Experiment angelegt, in denen verschiedene kulturelle Einflüsse und Ästhetiken miteinander verbunden werden. Der Rekurs auf Massenmedien, Popkultur und Konsumgesellschaft mutiert ihre materiellen wie immateriellen Eigenschaften, um neue ambigue Werke zu schaffen. Sein besonderes Interesse gilt den verschiedenen Narrativen, mit denen wir versuchen unsere Realität zu erklären. Dieses kulturelle Raster dient ihm als Labor und Referenzfeld für seine künstlerischen Hacks. Der konkrete Gegenstand, seine Beschaffenheit, der Kontext aus dem er stammt und das wofür er steht spielen dabei eine besondere Rolle. Es geht nicht darum, konkrete Aussagen zu schaffen, sondern vielmehr versucht Uhlenhaut Prozesse der visuellen Kommunikation zu untersuchen und mit deren Korrumpierbarkeit zu spielen. Das Narrativ ist vielsprachig, das Material und die Form verwehren sich einer tradierten Erwartung.
Während die hydraeske Bild- und Formensprache Hannes Uhlenhauts stets nach inhaltlichen Rezeptionsgrundlagen sucht, scheint der Arbeitsprozess Winnie Seiferts in einem gleichzeitigen Moment der Ruhe und des Affektes situiert zu sein. Ihre Malereien vereinen die großen Gesten der abstrakten Malerei mit einem feinsinnig-impulsiven Gespür für Farbe. Bewusst wird die Wirkung einer durchschimmernden, scheinbar sich selbst genug seienden Leinwand ausgespielt. Der klar grundierte Untergrund erhält einen bildsprachlichen Raum. Ihre abstrakten Malereien sind Sinnbilder und Ausdruck von Emotionen wie Wut,
Schmerz und Liebe. Die Übersetzung dieser elementaren Empfindungen in den synästhetischen Raum – in Form und Farbe – liefern dem Betrachter einen subjektiven Nachhall des Entstehungsmoments. Die polychrome Oberfläche wird ein subjektives Erlebnis und die Ungegenständlichkeit – das Irrationale – gewährt dem Rezipienten, eigenen Assoziationen zu folgen und räumt ihm ein, eine gedankliche, emotionale Landschaft in Winnie Seiferts Malereien zu erkunden.
Das Narrativ des Zusammenkommens unterliegt in der Praxis beider Künstler_innen zwei sehr verschiedenen Initialmomenten. Hier prallen Affekt und Konzept aufeinander. Genauso gestaltet sich unser pandemiebedingter Umgang mit der neuen Situation. Kulturelles, soziales und solidarisches Verhalten muss stets situativ bewertet werden während äußere Empfehlungen eine gesamtgesellschaftliche Zier darstellen. Gleichzeitig verhandeln die aktuell geltenden Regelungen unser Sozialverhalten neu, beziehungsweise geben ihm unter diesem Umstand neue Wertigkeit. Die eingangs erwähnte Ausstellungseröffnung unter dem Titel MOOD galt Winnie Seifert. Der Effekt, den ihre Bilder auf den Rezipienten haben – die immanente Aufforderung des Herantretens, die Einladung zum Teilen von Emotionen – mir schien, dass die Menschen um mich herum für diesen Moment und für diese Zeit schlicht als Entsprechungen funktionierten.

Text: Undine Rietz, Kunsthistorikerin/Kuratorin