Jakob Spengemann | Wroooaaaam Wroam!

Ausstellung: bis 01 Dez. 2024

Wrrrt Wrrrt!

Auf meinem Smartphone erscheint eine Nachricht von Jakob. Ein Video aus dem Keller der Frankfurter Oper.

Leicht verwackelt lässt sich ein langer Flur mit roten Brandschutztüren erkennen. Der gedämpfte Sound eines Trompetenspiels ist zu hören. Mitten in dem Keller, hinter einer der Türen, probt ein/e Musiker*in ihr Instrument.

Die hohen Frequenzen gehen in dem dicken Metall verloren, wie bei einem Schalldämpfer, der die Tonleiterübung zu einem Drone-Sound verzerrt. Der Klang verdichtet sich, schwillt an und klingt in seiner Wiederholungsschleife wie ein tiefes Wroooaaaam Wroam.

Wrrrt Wrrrt!

Jakob hat mir ein weiteres Foto geschickt. Eine Auspuffanlage auf rotem Samtteppich. Roter Teppich, als wäre das ein ungeschriebenes Gesetz für alle Opernhäuser der Welt.

Ich gebe erstmal keine Antwort. Von draußen ist das Stottern einer Zündung und dann ein dröhnender Motor zu hören. Würde ich mich besser auskennen, könnte ich das Modell am Motorengeräusch erkennen.

Wrrrt Wrrrt!

Mein Display leuchtet auf, das Foto einer aufgeschnittenen Abgasanlage erscheint. Die zunächst als blecherne Hohlkörper erscheinenden Formen besitzen ein komplexes Innenleben, das der Schalldämpfung oder Schallgestaltung dient. Im Inneren ist ein sich in Zickzacklinien windendes perforiertes Rohr, welches den Schall in die Zwischenräume abgibt, die mit Wolle oder andern dämmenden Materialien ausgestopft sind. Durch das perforierte Rohr wird der Abgasstrom geweitet, verlangsamt oder es werden die Schwingungen abgeschwächt.

Als Antwort schicke ich Jakob eine Aufnahme von Luigi Nono’s Stück „La Fabbrica Illuminata“ (1964) für das er Arbeitsgeräusche und Stimmen in einer Stahlfabrik aufgezeichnet hat. Diese Aufnahmen führte er später im Tonstudio des Radiosenders RAI mit elektronischen Sounds zu einer Collage zusammen, zu der die Mezzosopranistin Carla Henius einen fragmentarischen Text über die unmenschlichen Zustände in der Fabrik singt.

Ich schreibe: Ein Geräusch bleibt nie für sich, es verändert sich stetig mit den Kontexten, auf die es trifft.

Wrrrt Wrrrt!

Ich folge dem Spotify-Link „Max Sad Clarinette“ (1984) von Michel Portal. Das Spiel der Klarinette erinnert mich an das Rumoren und das Brummen eines Autos. Ich muss unweigerlich daran denken, dass hinter der Brandschutztür in dem Video niemand mit einer Trompete sitzt, sondern Kinder, die auf dem Autoteppich unentwegt Motorengeräusche aus ihren Backen pressen.

Wrrrt Wrrrt!

Jakob schickt mir eine Seite aus einem Comic von Michel Vaillant, auf dem eine Figur von einem VROOAAAAAOOW fast überfahren wird. Die anschwellenden Buchstaben entgleiten der passiven Beschreibung und werden als Laut physisch. Das Wahrgenommene wird hier unmittelbar spürbar. Die Phonetik macht sich in der Lautschrift des Comics unabhängig von der Ordnung der Grammatik oder anders gesagt, die Schriftsprache folgt dem Laut und nicht wie sonst der Laut der Ordnung der Schriftsprache. So wie sich die Schrift in die Handlung des Comics einmischen kann, scheint auch hier der Zusammenhang von Ursache und Wirkung verunsichert. Ein Geräusch kann zu einem festen Körper werden oder die Schwerkraft verliert ihre Wirkung. Erst wenn die Figur im Comic wahrnimmt, also begreift, dass sie über die Klippe geschossen ist, kommt die Absolutheit der äußeren Bedingungen zu tragen. Comics schaffen eine Sprache, die die sonst nicht sichtbare Verarbeitung unserer Realität durch die Wahrnehmung ins Bild setzt.

Der Refrain eines Popsongs drängt sich in meine Aufmerksamkeit. Ich drücke auf meine Kopfhörer und schalte sie aus. Ich lausche kurz der Umgebung und dann schicke ich Jakob ein Zitat von Richard Powers „How did music trick the body into thinking it had a soul?“.


Jakob Spengemanns Arbeiten bewegen sich an der Schnittstelle von Skulptur, Klang und Szenografie. Ausgangspunkt seiner Arbeit ist die Vermittlung und Transformation von Inhalten innerhalb der uns vertrauten Wahrnehmungsmuster. In meist raumgreifenden Installationen erforscht er Klang auf seine skulpturalen und narrativen Eigenschaften und dessen Wirkung innerhalb unseres kulturell geprägten Rahmens. Analog zum Fotografischen lässt sich der reproduzierte Klang als Abbild eines auslösenden Moments begreifen. Die Installationen stellen keine originalgetreuen Reproduktionen dar, sondern sind Ergebnis von Übersetzungsprozessen, die sich wellenförmig durch Raum und Zeit bewegen und somit immer auch eine Form der Transformation und Formatierung von Inhalten mit sich bringen. Spengemann spielt mit verschiedenen Parametern, begreift Klang als ein ephemeres Material und einen animistischen Protagonisten, mit dem sich Objekte unmittelbar bearbeiten und Subjekte unmittelbar beeinflussen lassen. Seine Arbeiten sind ein Vergrößerungsglas, mit dem er die akustischen Spuren untersucht, die wir in unseren sozialen Strukturen hinterlassen – und die diese Spuren akustisch, visuell und räumlich bewusster Erfahrung zugänglich machen.
Jakob Spengemann (1992, lebt und arbeitet in Hamburg) studierte Bühnenbild und Freie Kunst an der HfbK Hamburg und schloss sein Studium 2022 bei Raimund Bauer und Andreas Slominski mit dem Master Of Fine Arts ab. 
Webseite: https://vimeo.com/user45625775

Photos: Jaewon Kim

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